Der Anschluss Österreichs an das von Adolf Hitler geführte Deutsche Reich 1938 wurde von vielen Südtirolern mit Begeisterung aufgenommen – in der Hoffnung, das Land werde bald selbst heim ins Reich geholt. Hitler erklärte jedoch im selben Jahr die Brenner-Grenze als unantastbar. In den Kreisen des nationalsozialistischen Völkischen Kampfrings Südtirols (VKS), der in den 30er Jahren mit seiner NS-Propaganda enorme Breitenwirkung in der Bevölkerung erreicht hatte, wurde dieser Entschluss mit der Begründung gerechtfertigt, für den großdeutschen Gedanken müsse man zuletzt eben auch den Verlust der Heimat in Kauf nehmen.[15]
1939 erfolgte das sogenannte „Hitler-Mussolini-Abkommen“, das die deutschsprachigen Südtiroler vor die Wahl stellte, entweder für Deutschland zu optieren und dorthin auszuwandern oder – einer unsicheren Zukunft im faschistischen Staat entgegensehend – in Südtirol zu verbleiben und die italienische Staatsbürgerschaft zu behalten. Insbesondere der VKS setzte sich aus ideologischen Motiven für die Option ein, unterstützt auch von sorgsam von deutscher Seite gestreuten Gerüchten, Italien plane eine Deportierung der deutschsprachigen Südtiroler nach Sizilien oder gar Abessinien. In der Folge votierten 86 % der etwa 200.000 befragten Südtiroler für die Option.[16]
Nach Bekanntwerden der Ergebnisse forcierte der VKS einen Propagandakrieg der Optanten gegen die Dableiber, der gelegentlich auch zu Terror ausartete und sich über mehrere Jahre fortsetzte. Dieser inner-südtirolische Konflikt spiegelte sich, wenn auch mit anderen Kräfteverhältnissen, in der Kirche: Während der Bischof von Brixen Johannes Geisler die Aussiedlung unterstützte, entschied sich eine deutliche Mehrheit des Klerus für einen Verbleib in Südtirol.[17]
Ab Mitte November 1939 erfolgten erste größere Auswanderungswellen ins Reich, bis Jahresende wurden etwa 11.500 Umsiedler verzeichnet, die bei ihrem Vorhaben durch die Arbeitsgemeinschaft der Optanten für Deutschland und die Amtliche deutsche Ein- und Rückwanderungsstelle unterstützt wurden. Von den etwa 75.000 Optanten, die bis 1943 tatsächlich ins Reich übersiedelten, wanderten rund 50 % 1940 aus. Danach ging die Zahl der Umsiedlungen aus mehreren Gründen jährlich stetig zurück: Die Zuweisung eines geschlossenen Siedlungsgebiets, das den Südtirolern versprochen worden war, blieb aus, die Unterbringung und Arbeitsmöglichkeiten der ersten Auswanderer entsprachen nicht den Erwartungshaltungen und die Schätzung und Ablösung der Vermögenswerte, die den Optanten ersetzt werden sollten, verzögerte sich.[18]
Nach dem Sturz Mussolinis im Jahr 1943 und damit der Auflösung des Verbündetenstatus Italiens mit dem Deutschen Reich, dem folgenden Einmarsch der Wehrmacht und der Errichtung der Operationszone Alpenvorland unter Leitung des Obersten Kommissars Franz Hofer, des Gauleiters von Tirol-Vorarlberg, wurden die Auswanderung der Optanten und die Zuwanderung von Italienern beendet. Ein Großteil der Bevölkerung in Südtirol begrüßte den Einzug der deutschen Truppen als Befreiung.[19]
Am 6. November 1943 wurde, obwohl das Gebiet kein Teil des Deutschen Reichs war, die allgemeine Wehrpflicht eingeführt, deren Nichtbefolgung mit der Todesstrafe geahndet wurde. Sowohl Optanten als auch Dableiber (also italienische Staatsbürger) wurden in deutsche Verbände, darunter auch Einheiten der SS, eingegliedert. Thomas Casagrande geht von 3500 bis 5000 Südtirolern in der Waffen-SS aus. Das Attentat auf 33 Soldaten des SS-Polizeiregiments Bozen in der Via Rasella in Rom war Anlass für das Massaker an über 300 italienischen Zivilisten in den Ardeatinischen Höhlen im März 1944. Innerhalb Südtirols wurde der „Südtiroler Ordnungsdienst“ (SOD), eine von den NS-Machthabern unterstützte polizeiähnliche Hilfstruppe, aktiv.[20]
Die NS-Herrschaft in Südtirol besiegelte auch das Schicksal der jüdischen Gemeinde Merans, die beim Einmarsch der deutschen Truppe noch etwa 60 Mitglieder umfasste. Im September 1943 wurden 24 von ihnen vom SOD unter Führung der Gestapo verhaftet und in der Folge ins Lager Reichenau bei Innsbruck verschleppt. 19 Mitglieder starben in Auschwitz, vier noch in Reichenau.[21] Die Dezimierung ihrer Gemeinde überlebten lediglich acht Personen.[22] Im Juli 1944 wurde mit dem Polizeilichen Durchgangslager (DuLag) Bozen-Gries ein Konzentrationslager errichtet, durch das bis 1945 etwa 11.000 Menschen nach Auschwitz, Dachau und Mauthausen geschleust wurden.[23]
Widerstand gegen den Nationalsozialismus kam in Südtirol im Vergleich zum übrigen Italien in geringerem Ausmaß vor, da er – anders als weiter südlich – zumindest auf deutschsprachiger Seite nicht als nationaler Befreiungskampf begründet sein konnte. Zudem war der Widerstand entlang der Sprachgruppengrenzen fragmentiert. Auf deutschsprachiger Seite war der Andreas-Hofer-Bund aktiv, der sich grundsätzlich aus Dableibern zusammensetzte und in Friedl Volgger und Hans Egarter seine bedeutendsten Akteure fand. Unter anderem aus dem Kreis um den Andreas-Hofer-Bund ging 1945 die Südtiroler Volkspartei hervor. Auf italienischsprachiger Seite gab es in Bozen eine Sektion des Comitato di Liberazione Nazionale (CLN), der sich – anders als der Andreas-Hofer-Bund – für einen Verbleib Südtirols bei Italien einsetzte und ab dem 3. Mai 1945 auch die Verwaltung des Landes übernahm. In einigen Maßnahmen des CLN, etwa der Adjustierung administrativer Grenzen oder der Wiedereinsetzung faschistischer Funktionäre und Bürokraten, machte sich umgehend eine Kontinuität zur faschistischen Politik bemerkbar.[24]
Nach dem Zweiten Weltkrieg durchquerten tausende Flüchtlinge Südtirol auf dem Weg nach Genua und Rom, darunter auch prominente Personen des NS-Regimes und Kriegsverbrecher.[25] Über Südtirol entkamen unter anderen auch Adolf Eichmann[26] und Josef Mengele[27] nach Südamerika. Südtirol war in den Nachkriegsjahren ein geeignetes Versteck für Kriegsverbrecher und Nationalsozialisten, da es zum einen nach dem Abzug der Alliierten im Dezember 1945 als erstes deutschsprachiges Territorium nicht mehr unter alliierter Kontrolle stand und zum anderen in einer zu großen Teilen durch die Option staatenlos gewordenen Bevölkerung das Untertauchen leichter fiel.[28] Der staatsrechtliche Schwebezustand führte auch dazu, dass – in vielen Fällen entscheidend unterstützt von der Katholischen Kirche[29] – die einfache Beschaffung gefälschter Ausweise möglich war.
Aus: https://de.wikipedia.org/wiki/Geschichte_S%C3%BCdtirols