Zwischenkriegszeit (1918–1939)

 

Das Siegesdenkmal in Bozen (2001)
Faschistisches Beinhaus bei Innichen

Das Königreich Italien war 1882 dem Zweibund (Deutschland und Österreich-Ungarn) beigetreten; dieser wurde dadurch zum Dreibund. Diese Allianz war jedoch instabil, denn Italien betrieb mit dem Irredentismus eine expansionistische Politik, die vor allem auf italienisch besiedelte Gebiete unter österreichisch-ungarischer Herrschaft zielte.

 

De jure zerbrach das Bündnis 1915, als Italien nach der Unterzeichnung des geheimen Londoner Vertrages im Mai 1915 den Dreibundvertrag kündigte und wenig später auf der Seite der Triple Entente in den Ersten Weltkrieg eintrat (Näheres hier). Die Entente-Mächte hatten Italien die „Brennergrenze“ und andere Gebiete zugesichert, um Italien zum Kriegseintritt zu bewegen.

 

Nach dem für Österreich-Ungarn verlorenen Ersten Weltkrieg wurden das vornehmlich deutschsprachige Südtirol ebenso wie das vornehmlich italienischsprachige Welschtirol im November 1918 von Italien besetzt. Dennoch arbeiteten alle 15 in der Reichsratswahl 1911 (nur von Männern) gewählten Reichsratsabgeordneten aus dem deutschen Sprachgebiet Tirols vom 21. Oktober 1918 bis zum 16. Februar 1919 in der Provisorischen Nationalversammlung für Deutschösterreich mit, darunter sieben Abgeordnete aus Südtirol wie Atanas von Guggenberg, Emil Kraft und Ämilian Schöpfer.

 

Die am 16. Februar 1919 abgehaltene Wahl der Konstituierenden Nationalversammlung Deutschösterreich konnte im Wahlkreis Deutsch-Südtirol nur von etwa einem Zehntel der Wahlberechtigten, nämlich im Bezirk Lienz, vorgenommen werden. Deshalb beschloss die Nationalversammlung am 4. April 1919,[10] für die nicht repräsentierten Gebiete proportional nach den in Nord- und Osttirol vorliegenden Wahlresultaten acht weitere auf den Wahllisten der Parteien geführte Kandidaten in die Nationalversammlung einzuberufen.[11] Sie wurden am 24. April 1919 in Wien angelobt.[12] Es handelte sich um fünf Mandatare der Tiroler Volkspartei, zwei Sozialdemokraten und einen Deutschfreiheitlichen.

 

Die Konstituierende Nationalversammlung musste am 21. Oktober 1919 den im September 1919 von Staatskanzler Karl Renner gezwungenermaßen unterzeichneten Vertrag von Saint-Germain (damals als Diktat von Saint-Germain bezeichnet) ratifizieren. Damit wurde der gegen den Willen der dortigen Bevölkerung eingetretene Verlust Südtirols von Österreich akzeptiert. Das Land wurde am 10. Oktober 1920 vom Königreich Italien annektiert.[13]

 

Die italienische Annexion widersprach dem Prinzip der nationalen Selbstbestimmung, das der US-amerikanische Präsident Woodrow Wilson zuvor in seinen Vierzehn Punkten als alliiertes Kriegsziel verkündet hatte, denn die heutige Autonome Provinz Bozen - Südtirol war laut Volkszählung von 1910 zu 89 % von Deutschen bewohnt.[2] Namentlich Wilsons Punkt 9 legte ausdrücklich fest, dass „eine Neuregelung der Grenzen Italien entlang klar erkennbarer nationaler Grenzen durchgeführt werden soll“.[14] In Österreich, vorwiegend in Innsbruck, wurden als Solidaritätsbekundung Straßen und Plätze nach Südtiroler Orten umbenannt (vgl.: Südtiroler Platz). Ähnliches geschah auch im Deutschen Reich, hauptsächlich in Bayern.

 

Die deutschsprachigen Gebiete südlich des Brenners wurden mit dem vormaligen Welschtirol (Trentino) zu einer mehrheitlich italienischsprachigen Verwaltungseinheit Governatorato della Venezia Tridentina, ab 1921 Provincia di Venezia Tridentina (weitgehend deckungsgleich mit der heutigen Region Trentino-Südtirol) vereint.

 

König Viktor Emanuel III. hatte in seiner Thronrede am 1. Dezember 1919 versichert, der neuen Provinz eine „sorgfältige Wahrung der lokalen Institutionen und der Selbstverwaltung“ zuzugestehen. Am 15. Mai 1921 konnten die Südtiroler zum ersten Mal an den Wahlen zum römischen Parlament teilnehmen. Der Deutsche Verband, eine gemeinsame Liste aus Tiroler Volkspartei und Deutschfreiheitliche Partei, erreichte 90 % der Stimmen im Lande und konnte vier Sitze in der Abgeordnetenkammer erlangen. Die Sozialdemokraten gingen hingegen leer aus. Die Abgeordneten Eduard Reut-Nicolussi, Karl Tinzl, Friedrich Graf Toggenburg und Wilhelm von Walther machten sich für Südtirol stark, aber sämtliche Autonomiebestrebungen wurden aufgrund der sich dramatisch verändernden politischen Lage enttäuscht.

 

1921 kamen Schlägertrupps der italienischen Schwarzhemden auch nach Südtirol, wo sie vornehmlich Überbleibsel und Symbole der ihr „verhassten Doppelmonarchie“ (etwa Doppeladler) zerstörten. Höhepunkt dieser Szenen war der sogenannte Bozner Blutsonntag, ein Übergriff auf einen Trachtenumzug in Bozen am 24. April 1921, bei dem der Marlinger Lehrer Franz Innerhofer ermordet wurde. Am 2. Oktober 1922 zogen 700 italienische Faschisten nach Bozen und besetzten das Rathaus unter den Augen der Polizeikräfte, die dagegen nicht einschritten.

 

Mit der Machtergreifung des Duce Benito Mussolini begann für die Südtiroler die Italianisierungsphase. Besonders hart traf die Unterdrückung die ladinische Bevölkerung, zumal die italienische Nationalbewegung im Ladinischen einen italienischen Dialekt sah. Das Siedlungsgebiet der Ladiner wurde auf die drei Provinzen Bozen, Trient und Belluno aufgeteilt. Die ladinischen Gemeinden Cortina d’Ampezzo, Livinallongo del Col di Lana und Colle Santa Lucia wurden von Südtirol getrennt und an die Provinz Belluno angegliedert.

 

Die folgenden Jahre trugen vor allem die Handschrift von Ettore Tolomei, einem Nationalisten aus dem Trentino, der sich die Italianisierung Südtirols zur Lebensaufgabe gemacht hatte. Am 15. Juli 1923 präsentierte er im Stadttheater Bozen sein Programm zur Assimilierung Südtirols. Ab 1923 wurden sämtliche Orts- und Flurnamen italianisiert und die Verwendung des Namens Tirol verboten. Bereits 1916 hatte Tolemei den Prontuario herausgegeben, eine Liste, in der die Ortsnamen ins italienische übertragen wurden, teilweise schlichte Übersetzungen der gebräuchlichen deutschen Namen. Auch die deutschen Familiennamen der Bevölkerung waren darin bereits übersetzt.

 

Zwischen 1923 und 1925 wurde Italienisch zur einzig zugelassenen Amts- und Gerichtssprache; sämtliche deutschsprachigen Zeitungen wurden verboten, mit Ausnahme der faschistischen Alpenzeitung, die erstmals 1926 und bis 1943 erschien. Ab 1927 durften die Dolomiten und einige andere Zeitschriften aus dem (damals) kirchlichen Verlagshaus Athesia wieder erscheinen.

Zudem stand Südtirol ab 1924 unter Militärprotektorat; Gebäude durften nur nach Zustimmung des Militärs errichtet werden.

 

Im Zuge der faschistischen Schulreform von 1923 wurde in den folgenden Schuljahren an allen Schulen die deutsche Sprache verboten. Kirchliche Schulen mussten sich ebenfalls fügen oder schließen. Einzig die Knabenseminare Vinzentinum in Brixen und Johanneum in Dorf Tirol konnten aufgrund der Lateranverträge von 1929 in Deutsch weiterarbeiten.

 

Da Proteste der deutschen Südtiroler keine Wiederzulassung der deutschen Sprache brachten, suchte man neue Formen, die Muttersprache an die Kinder weiterzugeben. Im Schuljahr 1925/26 nahmen deutsche Geheimschulen (Katakombenschulen) ihre Tätigkeit auf.

 

Zehn Jahre nach Kriegsende wurde 1928 in Bozen ein großes Siegesdenkmal errichtet, ein Monument typischer Herrschaftsarchitektur des italienischen Faschismus, das dem italienischen Sieg im Ersten Weltkrieg gewidmet wurde. Forderungen nach Beseitigung dieses Diktaturerbes führten nicht zu seinem Abbruch, so dass es bis heute von italienischen Neofaschisten als "Wallfahrtsort" genutzt wird. Denkmäler aus der österreichischen Kaiserzeit wurden hingegen zerstört bzw. abgetragen.

1928 begann die zweite Phase der Italianisierungspolitik. Da die bisherigen Bemühungen zum Aussterben der deutschen Sprache in Südtirol nicht von großem Erfolg gekrönt waren, wurde in Bozen ein großes Industriegebiet zur Ansiedlung von Italienern angelegt. Firmen erhielten großzügige Subventionen und Steuerbegünstigungen, wenn sie Niederlassungen in Bozen errichteten. So wurde innerhalb weniger Jahre die Einwohnerzahl Bozens durch italienische Zuwanderer vervielfacht: die Bevölkerung wuchs von 30.000 Einwohnern zur Jahrhundertwende auf zwischenzeitlich bis zu 120.000.

In dieser Zeit wurde auch der Südtiroler Alpenwall errichtet.

 

 

Aus: https://de.wikipedia.org/wiki/Geschichte_S%C3%BCdtirols